Das Wichtigste im Überblick
- Ein Ehevertrag kann anfechtbar sein, wenn er unter Täuschung, Drohung oder Irrtum zustande kam – die Anfechtung muss jedoch innerhalb bestimmter Fristen erfolgen.
- Die BGH-Rechtsprechung zur Wirksamkeitskontrolle bietet zusätzliche Möglichkeiten, unfaire Eheverträge anzufechten, insbesondere wenn sie gegen die „Kernbereichslehre“ verstoßen.
- Eine erfolgreiche Anfechtung erfordert juristisches Spezialwissen und eine sorgfältige Beweissicherung – frühzeitige anwaltliche Beratung erhöht die Erfolgsaussichten erheblich.
Viele Ehepartner unterschreiben vor der Hochzeit einen Ehevertrag, ohne dessen weitreichende Konsequenzen vollständig zu verstehen. Oft wird erst Jahre später oder im Zuge einer Trennung deutlich, dass der Ehevertrag anfechtbar sein könnte. Besonders wenn Sie unter Druck gesetzt wurden, getäuscht wurden oder wichtige Informationen nicht kannten, gibt es rechtliche Möglichkeiten, gegen unfaire Vereinbarungen vorzugehen.
Die Anfechtung eines Ehevertrags ist jedoch ein komplexes rechtliches Verfahren mit strengen Fristen und Anforderungen, bei dem Sie von einem spezialisierten Anwalt für Familienrecht kompetente Unterstützung benötigen. Dieser Artikel erklärt, unter welchen Umständen ein Ehevertrag anfechtbar ist, welche rechtlichen Grundlagen es gibt und wie Sie vorgehen sollten, um Ihre Interessen zu schützen
Warum Eheverträge anfechtbar sein können
Ein Ehevertrag ist grundsätzlich ein rechtsgültiger Vertrag zwischen zwei Partnern. Er kann jedoch aus verschiedenen Gründen anfechtbar sein:
Täuschung (§ 123 BGB)
Wenn ein Partner vor der Unterzeichnung bewusst falsche Angaben gemacht oder wichtige Informationen verschwiegen hat, kann dies einen Anfechtungsgrund darstellen. Beispiele hierfür sind:
- Verschweigen von Vermögenswerten
- Falsche Angaben über die eigene finanzielle Situation
- Verheimlichen von Schulden oder finanziellen Verpflichtungen
Drohung (§ 123 BGB)
Ein Ehevertrag kann anfechtbar sein, wenn ein Partner unter Druck gesetzt wurde. Dies ist besonders relevant, wenn:
- Der Vertrag kurz vor der Hochzeit vorgelegt wurde
- Mit dem Abbruch der Beziehung gedroht wurde
- Andere Formen der emotionalen oder wirtschaftlichen Erpressung vorlagen
Irrtum (§ 119 BGB)
Wenn ein wesentlicher Irrtum über den Inhalt oder die Tragweite des Vertrags vorlag, kann dies ebenfalls einen Anfechtungsgrund darstellen. Dies kann der Fall sein, wenn:
- Die rechtlichen Konsequenzen nicht ausreichend erklärt wurden
- Ein Irrtum über wesentliche Eigenschaften des Vertrags bestand
- Die Auswirkungen bestimmter Klauseln nicht verstanden wurden
Bei einem Ehevertrag ist eine Anfechtung wegen Irrtums allerdings schwierig, da der Notar verpflichtet ist, über die Bedeutung und Tragweite des Vertrags aufzuklären. Eine Anfechtung wegen Irrtums ist jedoch möglich, wenn der Notar seiner Aufklärungspflicht nicht hinreichend nachgekommen ist oder wenn Ihnen der Vertrag bei mangelnden Deutschkenntnissen nicht übersetzt wurde.
BGH-Rechtsprechung zur Wirksamkeitskontrolle
Neben den klassischen Anfechtungsgründen hat der Bundesgerichtshof (BGH) eine wichtige Rechtsprechung zur Wirksamkeitskontrolle von Eheverträgen entwickelt. In seinem wegweisenden Urteil vom 11.02.2004 (BGH XII ZR 265/02) hat der BGH eine zweistufige Kontrolle eingeführt:
- Wirksamkeitskontrolle: Prüfung, ob der Vertrag von Anfang an sittenwidrig und damit nichtig ist
- Ausübungskontrolle: Prüfung, ob die Berufung auf den Vertrag im konkreten Fall rechtsmissbräuchlich ist
Diese Rechtsprechung bietet weitere Ansatzpunkte, um unfaire Eheverträge anzufechten, selbst wenn die klassischen Anfechtungsgründe nicht vorliegen.
Die "Kernbereichslehre" des BGH
Besonders wichtig für die Anfechtbarkeit von Eheverträgen ist die sogenannte „Kernbereichslehre“ des BGH (BGH XII ZR 122/00). Danach gibt es bestimmte Bereiche, die nicht oder nur unter sehr strengen Voraussetzungen vertraglich ausgeschlossen werden können:
Kernbereiche, die besonders geschützt sind:
- Kindesunterhalt – kann grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden<
- Betreuungsunterhalt – nach der Geburt gemeinsamer Kinder
- Krankheits- und Altersunterhalt – bei Bedürftigkeit
- Zugewinnausgleich – kann nicht vollständig ausgeschlossen werden, wenn dadurch eine eklatante Ungleichheit entsteht
Je stärker ein Ehevertrag in diese Kernbereiche eingreift, desto höher sind die Anforderungen an seine Wirksamkeit und desto eher kann er anfechtbar sein.
Fristen für die Anfechtung eines Ehevertrags
Die Anfechtung eines Ehevertrags ist zeitlich begrenzt. Gemäß § 124 BGB gilt:
- Bei Täuschung oder Drohung: Die Anfechtung muss innerhalb eines Jahres erfolgen, nachdem die Täuschung oder Drohung entdeckt wurde bzw. die Zwangslage weggefallen ist.
- Bei Irrtum: Die Anfechtung muss unverzüglich erfolgen, sobald der Irrtum erkannt wurde, spätestens jedoch innerhalb von 14 Tagen.
- Wenn seit Abschluss des Ehevertrags mehr als 10 Jahre vergangen sind, ist eine Anfechtung generell nicht mehr möglich.
Diese Fristen machen deutlich, wie wichtig es ist, bei Verdacht auf einen anfechtbaren Ehevertrag schnell zu handeln und rechtliche Beratung einzuholen.
Wichtig: Solange die Scheidung noch nicht vollzogen ist, ist die Anfechtung jederzeit möglich. Mit dem rechtskräftigen Scheidungsurteil gilt der Ehevertrag aber als anerkannt. Der Anfechtungsantrag sollte also spätestens während des laufenden Scheidungsverfahrens gestellt werde
Beweisführung bei der Anfechtung eines Ehevertrags
Eine der größten Herausforderungen bei der Anfechtung eines Ehevertrags ist die Beweisführung. Um erfolgreich zu sein, müssen Sie die Anfechtungsgründe nachweisen können.
Dokumentation für die Beweisführung:
- Schriftliche Kommunikation: E-Mails, Textnachrichten oder Briefe, die Druck oder Täuschung belegen
- Zeugenaussagen: Personen, die den Druck oder die Umstände der Vertragsunterzeichnung bezeugen können
- Zeitliche Abfolge: Dokumentation der Ereignisse vor der Unterzeichnung (besonders wichtig bei kurzfristigen Vorlagen kurz vor der Hochzeit)
- Finanzunterlagen: Nachweise über verschwiegene Vermögenswerte oder falsche Angaben
- Medizinische Unterlagen: Bei gesundheitlichen Problemen, die die Entscheidungsfähigkeit beeinträchtigt haben könnten
Je besser die Dokumentation, desto höher sind die Chancen auf eine erfolgreiche Anfechtung.
Teilnichtigkeit vs. Gesamtnichtigkeit
Bei der Anfechtung eines Ehevertrags ist zu unterscheiden zwischen:
- Teilnichtigkeit: Nur einzelne Klauseln des Ehevertrags sind unwirksam
- Gesamtnichtigkeit: Der gesamte Ehevertrag ist unwirksam
In vielen Fällen werden nicht alle Teile eines Ehevertrags für unwirksam erklärt, sondern nur die problematischen Klauseln. Dies hat Auswirkungen darauf, welche rechtlichen Regelungen stattdessen gelten.
Beachten Sie jedoch: Durch eine nichtige Klausel wird grundsätzlich der gesamte Ehevertrag unwirksam. Nur wenn eine Partei beweisen kann, dass der Vertrag auch ohne die verbotene Klausel zustande gekommen wäre, gelten die restlichen Vereinbarungen weiterhin. Viele Eheverträge enthalten eine sogenannte salvatorische Klausel, die bestimmt, dass der bestehende Vertrag erhalten bleibt, auch wenn einzelne Vertragsklauseln unwirksam sind.
Häufig gestellte Fragen
Wie lange habe ich Zeit, einen Ehevertrag anzufechten?
Bei Täuschung oder Drohung haben Sie ein Jahr Zeit, nachdem Sie die Täuschung erkannt haben bzw. die Zwangslage weggefallen ist. Bei Irrtum müssen Sie unverzüglich handeln, spätestens jedoch innerhalb von 14 Tagen nach Erkennen des Irrtums. Wenn seit Abschluss des Ehevertrags mehr als 10 Jahre vergangen sind, ist eine Anfechtung generell nicht mehr möglich.