Das Wichtigste im Überblick
- Bei einer Scheidung ohne Ehevertrag gilt in Deutschland der gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft, wonach der während der Ehe erzielte Vermögenszuwachs (Zugewinn) hälftig aufgeteilt wird.
- Weitere wichtige Auseinandersetzungen betreffen den Hausrat, gemeinsame Immobilien, Unterhaltsansprüche und die Aufteilung von Rentenansprüchen durch das Versorgungsausgleichsverfahren.
- Die gesetzlichen Regelungen können je nach individueller Situation zu unerwünschten Ergebnissen führen, weshalb eine frühzeitige rechtliche Beratung empfehlenswert ist.
Einleitung und Relevanz des Themas
Eine Scheidung stellt für die meisten Menschen nicht nur eine emotionale Belastung dar, sondern wirft auch weitreichende rechtliche und finanzielle Fragen auf. Besonders die Vermögensaufteilung kann zu Konflikten führen, wenn kein Ehevertrag existiert, der klare Regelungen für den Scheidungsfall festlegt. In Deutschland heiraten jedes Jahr zahlreiche Paare, doch nur ein kleiner Bruchteil schließt einen Ehevertrag. Das bedeutet: Die große Mehrheit der Ehen unterliegt im Falle einer Scheidung den gesetzlichen Regelungen zur Vermögensaufteilung.
Die Frage „Wer bekommt was?“ beschäftigt fast alle scheidungswilligen Paare und kann bei unklaren Verhältnissen zu langwierigen Rechtsstreitigkeiten führen. Dieser Artikel beleuchtet umfassend, welche Rechte und Pflichten bei einer Scheidung ohne Ehevertrag entstehen, wie die Vermögensaufteilung gesetzlich geregelt ist und welche Aspekte besonders zu beachten sind.
Rechtliche Grundlagen der Vermögensaufteilung
Der gesetzliche Güterstand: Die Zugewinngemeinschaft
Wenn Ehepaare keinen Ehevertrag schließen, leben sie automatisch im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft gemäß § 1363 BGB und folgende. Der Begriff „Zugewinngemeinschaft“ führt häufig zu Missverständnissen, da er suggeriert, dass während der Ehe erworbenes Vermögen automatisch beiden Ehepartnern gemeinsam gehört. Dies ist jedoch nicht der Fall.
In der Zugewinngemeinschaft bleibt die rechtliche Trennung des Vermögens während der Ehe bestehen. Jeder Ehepartner ist alleiniger Eigentümer seines vor und während der Ehe erworbenen Vermögens und kann grundsätzlich frei darüber verfügen. Einschränkungen bestehen gemäß § 1365 BGB für Verfügungen über das gesamte Vermögen und nach § 1369 BGB für Haushaltsgegenstände ohne Zustimmung des anderen Ehepartners.
Die Zugewinngemeinschaft wirkt sich erst bei der Scheidung aus. Dann wird der während der Ehe erzielte Vermögenszuwachs (Zugewinn) zwischen den Ehepartnern ausgeglichen. Der Ehepartner mit dem höheren Zugewinn muss dem anderen die Hälfte der Differenz als Zugewinnausgleich zahlen.
Berechnung des Zugewinnausgleichs
Die Berechnung des Zugewinnausgleichs erfolgt in mehreren Schritten:
- Ermittlung des Anfangsvermögens (§ 1374 BGB): Das Vermögen, das jedem Ehepartner zu Beginn der Ehe gehörte, wird bewertet. Bei der Berechnung des Zugewinnausgleichs sieht § 1374 Abs. 3 BGB ausdrücklich vor, dass Verbindlichkeiten auch über die Höhe des Vermögens hinaus abgezogen werden können. Ein negatives Anfangsvermögen ist also möglich und wird bei der Berechnung des Zugewinns berücksichtigt. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn ein Ehepartner zu Beginn der Ehe verschuldet war. Das negative Anfangsvermögen erhöht dann den während der Ehe erzielten Zugewinn. Nur wenn das Anfangsvermögen nicht nachgewiesen werden kann, wird es gemäß § 1377 Abs. 3 BGB mit Null angesetzt.
- Ermittlung des Endvermögens (§ 1375 BGB): Das Vermögen jedes Ehepartners zum Zeitpunkt der Zustellung des Scheidungsantrags wird ermittelt. Auch hier werden Schulden abgezogen.
- Berechnung des individuellen Zugewinns: Vom Endvermögen wird das Anfangsvermögen abgezogen, um den individuellen Zugewinn zu ermitteln.
- Ermittlung des Ausgleichsanspruchs: Die Differenz zwischen den Zugewinnen beider Ehepartner wird ermittelt. Der Ehepartner mit dem geringeren Zugewinn hat Anspruch auf die Hälfte dieser Differenz.
Ein Beispiel zur Verdeutlichung:
Ehemann:
- Anfangsvermögen: 20.000 €
- Endvermögen: 100.000 €
- Zugewinn: 80.000 €
Ehefrau:
- Anfangsvermögen: 10.000 €
- Endvermögen: 50.000 €
- Zugewinn: 40.000 €
Differenz der Zugewinne: 40.000 € Zugewinnausgleichsanspruch der Ehefrau: 20.000 € (die Hälfte der Differenz)
Besonderheiten und Ausnahmen beim Zugewinnausgleich
Es gibt einige Besonderheiten und Ausnahmen, die bei der Berechnung des Zugewinnausgleichs zu beachten sind:
- Schenkungen und Erbschaften werden grundsätzlich dem Anfangsvermögen hinzugerechnet (§ 1374 Abs. 2 BGB), erhöhen also nicht den ausgleichspflichtigen Zugewinn.
- Illoyale Vermögensminderung: Hat ein Ehepartner sein Vermögen durch unentgeltliche Zuwendungen an Dritte oder durch Verschwendung vermindert, kann dieser Betrag dem Endvermögen hinzugerechnet werden (§ 1375 Abs. 2 BGB).
- Vorzeitiger Zugewinnausgleich: In bestimmten Fällen kann der Zugewinnausgleich schon vor der Scheidung verlangt werden, etwa wenn ein Ehepartner die wirtschaftliche Existenz des anderen gefährdet (§ 1386 BGB).
Hauptaspekte der Vermögensaufteilung bei Scheidung
Neben dem Zugewinnausgleich spielen weitere wichtige Aspekte bei der Vermögensaufteilung eine Rolle:
1. Aufteilung des Hausrats
Der Hausrat (Möbel, Haushaltsgeräte, Fahrzeuge etc.) wird unabhängig vom Zugewinnausgleich aufgeteilt. Nach § 1568a BGB sollen die Ehegatten sich über die Aufteilung einigen. Können sie keine Einigung erzielen, entscheidet das Familiengericht nach Billigkeitserwägungen, wobei die Eigentumsverhältnisse, die Bedürfnisse der Ehegatten und die der gemeinsamen Kinder berücksichtigt werden.
In der Praxis wird oft nach dem Gebrauchsinteresse entschieden: Gegenstände, die vorwiegend von einem Ehegatten genutzt werden, werden diesem zugesprochen. Bei gemeinsam genutzten Gegenständen spielen oft die jeweiligen finanziellen Verhältnisse eine Rolle. Der Ehegatte, der einen Gegenstand erhält, der dem anderen gehört, muss in der Regel eine angemessene Ausgleichszahlung leisten.
2. Immobilien
Bei gemeinsamen Immobilien gestaltet sich die Aufteilung oft besonders komplex. Sind beide Ehegatten im Grundbuch als Eigentümer eingetragen, können sie die Immobilie gemeinsam verwalten oder sich für den Verkauf und die Teilung des Erlöses entscheiden; ansonsten ist eine Regelung über die Nutzung oder Vermietung notwendig. Sie haben folgende Möglichkeiten:
- Ein Ehepartner übernimmt die Immobilie und zahlt den anderen aus.
- Die Immobilie wird verkauft und der Erlös geteilt.
- Die Immobilie wird vermietet und die Einkünfte geteilt.
- In seltenen Fällen: Eine Teilungsversteigerung wird durchgeführt.
Die Auseinandersetzung einer Immobilie ist oft emotional belastet, besonders wenn Kinder betroffen sind, für die das Haus oder die Wohnung ein wichtiger Lebensmittelpunkt ist. Hier ist eine einvernehmliche Lösung besonders wichtig.
3. Ehegattenunterhalt
Nach der Scheidung kann ein Ehegatte vom anderen Unterhalt verlangen, wenn er nicht selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen kann. Ehegattenunterhalt ist in §§ 1569 bis 1586b BGB geregelt. Unterhalt kann beispielsweise wegen Kinderbetreuung, Alter, Krankheit, Erwerbslosigkeit oder zur Fortsetzung der Ausbildung beansprucht werden.
Die Höhe des Unterhalts richtet sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen und wird anhand des verfügbaren Einkommens beider Ehegatten berechnet. Der Unterhaltsanspruch kann zeitlich befristet oder der Höhe nach begrenzt werden, besonders nach kurzen Ehen oder wenn dies aus Billigkeitsgründen angemessen erscheint (§ 1578b BGB).
4. Unternehmen und Beteiligungen
Besonders komplex kann die Aufteilung werden, wenn ein Ehegatte ein Unternehmen führt oder Beteiligungen an einem solchen hält. Hier ist eine detaillierte Bewertung des Unternehmens erforderlich, wobei verschiedene Bewertungsmethoden zur Anwendung kommen können.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Schutz der wirtschaftlichen Existenz: Der zugewinnausgleichspflichtige Unternehmer-Ehegatte kann unter bestimmten Voraussetzungen Stundung des Ausgleichsanspruchs oder Ratenzahlung verlangen, um die Fortführung des Unternehmens nicht zu gefährden.
Praktische Tipps für Betroffene
- Frühzeitige Bestandsaufnahme: Verschaffen Sie sich rechtzeitig einen Überblick über das gemeinsame und das individuelle Vermögen. Dokumentieren Sie, welche Vermögenswerte wann und von wem erworben wurden.
- Konten trennen: Bei absehbarer Trennung ist es ratsam, gemeinsame Konten aufzulösen und getrennte Konten einzurichten, um die finanzielle Transparenz zu erhöhen.
- Beweissicherung: Sichern Sie Nachweise über Ihr Anfangsvermögen (Kontoauszüge, Wertpapierabrechnungen, Kaufverträge etc.). Diese Nachweise sind für die spätere Berechnung des Zugewinnausgleichs entscheidend.
- Inventarliste erstellen: Fertigen Sie eine Liste des vorhandenen Hausrats an, mit Angaben zu Anschaffungswert, aktuellem Wert und den Eigentumsverhältnissen.
- Einvernehmliche Lösungen anstreben: Streben Sie trotz emotionaler Belastung einvernehmliche Lösungen an, da diese in der Regel kostengünstiger und weniger belastend sind als gerichtliche Auseinandersetzungen.
- Mediation in Erwägung ziehen: Eine Mediation kann helfen, eine faire Vermögensaufteilung zu erzielen, die die Interessen beider Seiten berücksichtigt.
- Rechtzeitige Rechtsberatung: Konsultieren Sie frühzeitig eine auf Familienrecht spezialisierte Anwältin oder einen Anwalt, um Ihre Rechte und Handlungsoptionen kennenzulernen. Gerne stehe ich Ihnen mit Rat und Tat zur Seite.
- Steuerliche Aspekte beachten: Die Vermögensaufteilung kann steuerliche Konsequenzen haben. Lassen Sie sich auch hierzu beraten, um steuerliche Nachteile zu vermeiden.
Checkliste: Vermögensaufteilung bei Scheidung ohne Ehevertrag
- Vermögensübersicht erstellen: Anfangsvermögen und aktuelles Vermögen beider Ehegatten ermitteln
- Zugewinnausgleich berechnen: Differenz der Zugewinne ermitteln und hälftig teilen
- Immobilien bewerten: Verkehrswertgutachten einholen
- Hausrat inventarisieren: Liste mit Eigentumszuordnung erstellen
- Unterhaltsansprüche prüfen: Ehegattenunterhalt, Kindesunterhalt
- Versorgungsausgleich vorbereiten: Rentenanwartschaften während der Ehezeit erfassen
- Steuerliche Konsequenzen klären: Steuerberater konsultieren
- Schulden erfassen: Gemeinsame und individuelle Verbindlichkeiten auflisten
- Trennungsvereinbarung erwägen: Vorläufige Regelungen für die Trennungszeit treffen
- Scheidungsfolgenvereinba