Das Wichtigste im Überblick
- EU-Erbrechtsverordnung bestimmt seit 2015 das anwendbare Recht nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers
- Internationale Erbschaftssteuer und Doppelbesteuerung können erhebliche finanzielle Auswirkungen haben
- Rechtzeitige testamentarische Regelungen und professionelle Beratung sind bei Auslandsbezug besonders wichtig
Einleitung: Wenn das Erbe Grenzen überschreitet
In unserer globalisierten Welt ist es keine Seltenheit mehr, dass Deutsche im Ausland leben, dort Vermögen aufbauen oder Immobilien besitzen. Gleichzeitig erwerben immer mehr Menschen Ferienimmobilien in südeuropäischen Ländern oder investieren international. Was aber passiert rechtlich, wenn ein Erblasser in Deutschland verstirbt, aber Vermögen im Ausland hinterlässt?
Diese Konstellation bringt komplexe rechtliche Herausforderungen mit sich, die weit über das gewöhnliche deutsche Erbrecht hinausgehen. Von der Bestimmung des anwendbaren Rechts über steuerliche Aspekte bis hin zu praktischen Problemen bei der Vermögensabwicklung – internationale Erbfälle erfordern eine durchdachte Herangehensweise und fundierte rechtliche Beratung.
Rechtliche Grundlagen: Welches Recht gilt wann?
Vom Staatsangehörigkeitsprinzip zur EU-Erbrechtsverordnung
Nach deutschem internationalen Privatrecht galt traditionell der Grundsatz, dass sich die Erbfolge nach der Staatsangehörigkeit des Erblassers richtet (§ 25 Abs. 1 EGBGB a.F.). Seit Inkrafttreten der EU-Erbrechtsverordnung (VO (EU) Nr. 650/2012) am 17. August 2015 gilt jedoch vorrangig das Recht des Staates, in dem der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, sofern die Verordnung anwendbar ist. Nur außerhalb ihres Anwendungsbereichs bleibt die Staatsangehörigkeit maßgeblich.
Diese Änderung bringt in der Praxis erhebliche Auswirkungen mit sich. Während früher ein deutscher Staatsangehöriger praktisch immer deutschem Erbrecht unterlag, kommt heute bei einem gewöhnlichen Aufenthalt im EU-Ausland zunächst das dortige Recht zur Anwendung. Dies kann zu völlig anderen Ergebnissen führen, insbesondere bei den Pflichtteilsregelungen oder der Erbfolge.
Die Europäische Erbrechtsverordnung im Detail
Die EU-Erbrechtsverordnung gilt seit 2015 in allen EU-Mitgliedstaaten außer Dänemark, Irland und dem Vereinigten Königreich. Sie bestimmt, dass grundsätzlich das Recht des Staates anzuwenden ist, in dem der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Deutsche können jedoch durch eine entsprechende Verfügung von Todes wegen die Anwendung deutschen Rechts wählen.
Diese Wahlmöglichkeit ist besonders wichtig, da sie Rechtssicherheit schafft und verhindert, dass verschiedene Rechtsordnungen parallel angewendet werden. Ohne eine solche Rechtswahl kann es zu widersprüchlichen Ergebnissen kommen, wenn beispielsweise nach deutschem Recht andere Erben berechtigt sind als nach dem Recht des letzten Aufenthaltsstaates.
Besonderheiten bei Immobilien
Innerhalb des Anwendungsbereichs der EU-Erbrechtsverordnung umfasst die einheitliche Rechtsanwendung auch Immobilien. Außerhalb ihres Anwendungsbereichs – etwa in Drittstaaten oder in Ländern mit Sonderregelungen – gilt jedoch oft das Recht des Belegenheitsstaates (lex rei sitae).
Ein deutscher Erblasser, der eine Ferienimmobilie in den USA besitzt, kann sich daher in der Situation wiederfinden, dass für sein deutsches Vermögen deutsches Erbrecht gilt, für die amerikanische Immobilie jedoch US-amerikanisches Recht. Dies kann zu erheblichen Problemen führen, insbesondere wenn die beiden Rechtsordnungen unterschiedliche Pflichterbsregelungen vorsehen.
Steuerliche Aspekte: Doppelbesteuerung und ihre Vermeidung
Deutsche Erbschaftssteuer bei Auslandsvermögen
Eine unbeschränkte deutsche Erbschaftsteuerpflicht besteht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, wenn entweder der Erblasser oder der Erwerber als Inländer gilt. Inländer ist beispielsweise, wer in Deutschland einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat oder deutscher Staatsangehöriger ist und sich in den letzten fünf Jahren nicht dauerhaft im Ausland aufgehalten hat. In diesen Fällen unterliegt das gesamte Weltvermögen der deutschen Besteuerung.
Gleichzeitig erheben aber auch viele ausländische Staaten Erbschafts- oder Schenkungssteuern auf das in ihrem Hoheitsgebiet belegene Vermögen. Diese Doppelbesteuerung kann zu erheblichen finanziellen Belastungen führen. Ein Erbe kann sich in der Situation wiederfinden, dass er sowohl in Deutschland als auch im Ausland Steuern auf dasselbe Vermögen zahlen muss, wodurch die Steuerbelastung schnell 50 Prozent oder mehr des Vermögenswertes erreichen kann.
Doppelbesteuerungsabkommen und Anrechnung
Deutschland hat nur mit wenigen Ländern Doppelbesteuerungsabkommen für Erbschaft- und Schenkungsteuern geschlossen (beispielsweise mit den USA, Frankreich, der Schweiz, Dänemark, Griechenland und Schweden). In allen anderen Fällen greift die Anrechnungsvorschrift nach § 21 ErbStG.
Die Anrechnungsregelung sieht vor, dass im Ausland gezahlte Erbschaftsteuern auf die deutsche Steuerschuld angerechnet werden können. Allerdings ist diese Anrechnung oft begrenzt und führt nicht immer zu einer vollständigen Vermeidung der Doppelbesteuerung. Die Anrechnung ist auf den Teil der deutschen Steuer beschränkt, der auf das ausländische Vermögen entfällt.
Bewertung ausländischen Vermögens
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Bewertung des ausländischen Vermögens für deutsche Steuerzwecke. Grundsätzlich sind ausländische Vermögensgegenstände mit ihrem gemeinen Wert zu bewerten, wobei die örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen sind. Bei Immobilien kann dies zu erheblichen Bewertungsunterschieden führen, je nachdem, ob deutsche oder ausländische Bewertungsmaßstäbe angewendet werden.
Praktische Herausforderungen bei der Nachlassabwicklung
Nachweis der Erbberechtigung im Ausland
Eine der ersten Hürden bei internationalen Erbfällen ist der Nachweis der Erbberechtigung gegenüber ausländischen Banken, Behörden oder anderen Institutionen. Der deutsche Erbschein wird nicht in allen Ländern anerkannt, und oft sind zusätzliche Dokumente oder spezielle Verfahren erforderlich.
Das Europäische Nachlasszeugnis, das durch die EU-Erbrechtsverordnung eingeführt wurde, soll hier Abhilfe schaffen. Es wird in allen EU-Mitgliedstaaten anerkannt und kann die Abwicklung erheblich erleichtern. Außerhalb der EU müssen jedoch weiterhin oft lokale Nachlassverfahren durchlaufen werden.
Währungsrisiken und Liquiditätsprobleme
Bei Auslandsvermögen spielen auch Währungsrisiken eine wichtige Rolle. Schwankungen der Wechselkurse können den Wert des Erbes erheblich beeinflussen, insbesondere wenn zwischen dem Erbfall und der tatsächlichen Übertragung des Vermögens längere Zeit vergeht.
Zudem können sich Liquiditätsprobleme ergeben, wenn beispielsweise deutsche Erbschaftssteuern fällig werden, das Vermögen aber im Ausland blockiert ist oder nur langsam liquidiert werden kann. In solchen Fällen kann es erforderlich werden, Zwischenfinanzierungen in Anspruch zu nehmen oder Stundungsanträge zu stellen.
Praktische Tipps für Betroffene
Professionelle Beratung
Bei internationalen Erbfällen ist professionelle Beratung unerlässlich. Diese sollte sowohl die deutsche als auch die ausländische Rechtslage berücksichtigen und Steuerberater sowie Rechtsanwälte in den betroffenen Ländern einbeziehen.
Wenn Sie sich in einer solchen Situation befinden oder diese für die Zukunft planen möchten, sollten Sie nicht zögern, rechtzeitig fachkundige Beratung in Anspruch zu nehmen.
Rechtzeitige Bestandsaufnahme
Der erste und wichtigste Schritt ist eine vollständige Bestandsaufnahme aller im Ausland befindlichen Vermögenswerte. Dazu gehören nicht nur offensichtliche Positionen wie Immobilien oder Bankkonten, sondern auch Versicherungen, Rentenansprüche oder Beteiligungen an ausländischen Unternehmen.
Diese Bestandsaufnahme sollte regelmäßig aktualisiert werden, da sich sowohl die Vermögenssituation als auch die rechtlichen Rahmenbedingungen ändern können. Wichtig ist auch die Dokumentation aller relevanten Unterlagen und deren sichere Aufbewahrung.
Testamentarische Regelungen
Bei Auslandsbezug sind testamentarische Regelungen besonders wichtig. Ein sorgfältig gestaltetes Testament kann viele der genannten Probleme vermeiden oder zumindest mildern. Dabei sollten insbesondere folgende Aspekte berücksichtigt werden:
Die Wahl des anwendbaren Rechts sollte ausdrücklich getroffen werden, um Rechtsunsicherheiten zu vermeiden. Bei Vermögen in verschiedenen Ländern kann es sinnvoll sein, separate Testamente für die jeweiligen Länder zu errichten, wobei darauf zu achten ist, dass sich diese nicht gegenseitig aufheben.
Steuerliche Optimierung
Durch eine durchdachte Nachlassplanung lassen sich auch die steuerlichen Belastungen optimieren. Dazu können gehören:
Die Nutzung von Freibeträgen in verschiedenen Ländern, die zeitliche Streckung von Übertragungen zur Mehrfachnutzung von Freibeträgen, oder die Wahl günstiger Gestaltungsformen wie Familienstiftungen oder internationale Trusts, soweit rechtlich zulässig.
Checkliste für internationale Erbfälle
Vor dem Erbfall
- Vollständige Dokumentation aller Auslandsvermögen
- Prüfung der anwendbaren Rechtsordnungen
- Testamentarische Regelungen mit Rechtswahl
- Steuerliche Optimierungsmöglichkeiten prüfen
- Professionelle Beratung einholen
Nach dem Erbfall
- Schnelle Kontaktaufnahme mit ausländischen Banken/Behörden
- Nachweis der Erbstellung beschaffen (ggf. Europäisches Nachlasszeugnis)
- Steuerliche Pflichten in allen betroffenen Ländern prüfen
- Währungsrisiken absichern
- Lokale Rechtsberatung in den jeweiligen Ländern
Häufig gestellte Fragen
Gilt deutsches Erbrecht auch für meine Immobilie in Spanien?
Grundsätzlich gilt seit 2015 das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts. Bei einem deutschen mit Aufenthalt in Deutschland können Sie durch testamentarische Rechtswahl deutsches Recht wählen. Innerhalb der EU umfasst dies auch Immobilien.
Muss ich in Deutschland und im Ausland Erbschaftssteuer zahlen?
Möglicherweise ja. Bei unbeschränkter Steuerpflicht in Deutschland unterliegen Sie der weltweiten Besteuerung. Anrechnungsregelungen und wenige Doppelbesteuerungsabkommen können die Belastung mildern.
Wird mein deutscher Erbschein im Ausland anerkannt?
Nicht automatisch. In EU-Staaten kann das Europäische Nachlasszeugnis helfen. Außerhalb der EU verlangen viele Länder zusätzliche Dokumente oder eigene Verfahren.
Kann ich für verschiedene Länder unterschiedliche Testamente machen?
Ja, das ist möglich und oft sinnvoll. Dabei muss aber darauf geachtet werden, dass sich die Testamente nicht gegenseitig aufheben.
Wie lange dauert die Abwicklung eines internationalen Erbfalls?
Das kann sehr unterschiedlich sein und von wenigen Monaten bis zu mehreren Jahren dauern, je nach beteiligten Ländern und Komplexität des Falls.
Benötige ich Anwälte in jedem Land, in dem Vermögen liegt?
Oft ja, da die örtlichen Verfahren und Besonderheiten beachtet werden müssen. Ein deutscher Anwalt kann aber die Koordination übernehmen.
Was passiert, wenn ich kein Testament habe?
Dann greifen die gesetzlichen Erbfolgeregeln, die in verschiedenen Ländern unterschiedlich sein können. Dies kann zu komplizierten und kostspieligen Verfahren führen.
Wie kann ich Währungsrisiken bei Auslandsvermögen absichern?
Durch verschiedene Finanzinstrumente wie Währungsoptionen oder -futures. Die konkrete Strategie hängt von der Vermögenssituation ab.