Vorausvermächtnis bei Immobilien: Rechtliche Gestaltung und Folgen

Das Vorausvermächtnis ermöglicht die gezielte Zuwendung einer Immobilie an einen Erben, ohne dass deren Wert auf seinen Erbteil angerechnet wird, und ist damit ein wertvolles Instrument für die Nachlassplanung von Immobilieneigentum. Mit dem Erbfall entsteht sofort ein Anspruch des Begünstigten auf Übertragung der Immobilie, wobei eine präzise Formulierung im Testament für die Rechtssicherheit unerlässlich ist. Durch diese besondere Form des Vermächtnisses können familiäre Konflikte vermieden und eine gerechte Verteilung des Nachlasses sichergestellt werden, insbesondere wenn bestimmte Erben eine besondere Bindung zur Immobilie haben.

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Das Wichtigste im Überblick

  • Ein Vorausvermächtnis ermöglicht die bevorzugte Zuwendung einer Immobilie an einen bestimmten Erben, ohne den gesetzlichen Erbteil zu beeinträchtigen
  • Mit dem Vorausvermächtnis entsteht ein sofortiger Anspruch auf Übertragung der Immobilie, wobei der Begünstigte die Immobilie erhält, ohne dass ihr Wert auf seinen Erbteil angerechnet wird
  • Die rechtssichere Ausgestaltung eines Vorausvermächtnisses für Immobilien erfordert eine präzise Formulierung im Testament und idealerweise anwaltliche Beratung

Einleitung und Relevanz des Themas

Stehen Sie vor der Herausforderung, Ihr Vermögen und insbesondere Ihre Immobilien an die nächste Generation weiterzugeben? Möchten Sie dabei sicherstellen, dass bestimmte Vermögenswerte gezielt an eine bestimmte Person gehen, ohne die gesetzliche Erbfolge komplett aufzuheben? In diesem Fall kann ein Vorausvermächtnis ein wertvolles Instrument der Nachlassplanung sein.

Das Vorausvermächtnis ist eine besondere Form des Vermächtnisses, das einem Erben zusätzlich zu seinem Erbteil zugewendet wird. Gerade bei Immobilien kommt diesem Rechtsinstitut eine besondere Bedeutung zu. Ein Vorausvermächtnis kann dabei helfen, familiäre Konflikte zu vermeiden, eine gerechte Verteilung des Nachlasses zu gewährleisten und gleichzeitig steuerliche Aspekte zu optimieren.

In meiner langjährigen Praxis als Anwältin für Erbrecht habe ich zahlreiche Mandanten bei der Gestaltung ihrer Nachlassregelung und insbesondere bei der Implementierung von Vorausvermächtnissen für Immobilien beraten. Dabei zeigt sich immer wieder: Die richtige rechtliche Gestaltung kann entscheidend für die Vermeidung von Erbstreitigkeiten und die erfolgreiche Umsetzung der eigenen Wünsche sein.

Rechtliche Grundlagen des Vorausvermächtnisses

Definition und gesetzliche Verankerung

Das Vorausvermächtnis ist in § 2150 BGB verankert. Es handelt sich um ein Vermächtnis, das einem Erben zusätzlich zu seinem Erbteil zugewendet wird. Der Gesetzestext lautet:

„Ein Vermächtnis, das einem Erben zugewendet ist (Vorausvermächtnis), gilt als Vermächtnis auch insoweit, als der Erbe selbst beschwert ist.“

Das bedeutet, dass der begünstigte Erbe den vermachten Gegenstand – in unserem Fall eine Immobilie – vorab erhält, bevor der Nachlass unter allen Erben aufgeteilt wird. Der Wert des Vorausvermächtnisses wird nicht auf den Erbteil angerechnet, es sei denn, der Erblasser hat dies ausdrücklich angeordnet.

Abgrenzung zu anderen erbrechtlichen Instrumenten

Das Vorausvermächtnis ist von anderen erbrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten zu unterscheiden:

  1. Vermächtnis: Ein „normales“ Vermächtnis wird einer Person zugewendet, die nicht Erbe ist. Der Vermächtnisnehmer hat lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch gegen die Erben auf Herausgabe des vermachten Gegenstand
  2. Teilungsanordnung (§ 2048 BGB): Hierbei ordnet der Erblasser an, wie der Nachlass unter den Erben aufgeteilt werden soll. Im Gegensatz zum Vorausvermächtnis wird der Wert der zugeteilten Gegenstände auf den Erbteil angerechnet.
  3. Ausgleichungspflicht (§§ 2050 ff. BGB): Bestimmte Zuwendungen zu Lebzeiten des Erblassers werden bei der Erbauseinandersetzung berücksichtigt und auf den Erbteil angerechnet.

Hauptaspekte des Vorausvermächtnisses bei Immobilien

Zulässige Gegenstände eines Vorausvermächtnisses

Grundsätzlich kann jeder Vermögensgegenstand Objekt eines Vorausvermächtnisses sein. Bei Immobilien sind dies typischerweise:

  • Einfamilienhäuser
  • Eigentumswohnungen
  • Mehrfamilienhäuser
  • Grundstücke
  • Teilweise ist auch eine Verbindung mit beschränkt dinglichen Rechten wie Nießbrauch oder Wohnrechten möglich


Besondere Konstellationen wie Erbbaurechte, Miteigentumsanteile oder im Ausland belegene Immobilien erfordern eine sorgfältige rechtliche Prüfung und Gestaltung.

Begünstigte Personen

Als Begünstigte eines Vorausvermächtnisses kommen in erster Linie die Erben in Betracht. Typische Konstellationen sind:

  • Ehegatten, die einander ein Vorausvermächtnis an der gemeinsamen Immobilie zuwenden
  • Eltern, die einem Kind das Familienhaus vorausvermachen
  • Großeltern, die einem Enkelkind eine bestimmte Immobilie zukommen lassen möchten


Wichtig ist, dass die begünstigte Person zugleich Erbe sein muss. Ist dies nicht der Fall, handelt es sich um ein reguläres Vermächtnis.

Wirkung und Rechtsfolgen

Das Vorausvermächtnis hat folgende wesentliche Rechtsfolgen:

  1. Anspruchsentstehung: Mit dem Erbfall entsteht ein schuldrechtlicher Anspruch des Begünstigten gegen die Erbengemeinschaft auf Übertragung der Immobilie.
  2. Keine Anrechnung auf den Erbteil: Der Wert des Vorausvermächtnisses wird grundsätzlich nicht auf den Erbteil des Begünstigten angerechnet, sofern der Erblasser nichts anderes bestimmt hat.
  3. Auseinandersetzungsanspruch: Der Begünstigte kann die vorausvermachte Immobilie im Rahmen der Erbauseinandersetzung verlangen, ohne dass deren Wert seinen Erbteil schmälert.
  4. Grundbucheintragung: Für die Übertragung des Eigentums an der vorausvermachten Immobilie ist eine Eintragung im Grundbuch erforderlich. Hierzu benötigt der Begünstigte eine Auflassungserklärung der Erbengemeinschaft und einen Erbschein oder ein notarielles Testament mit Eröffnungsprotokoll.
  5. Belastungen: Der Begünstigte übernimmt mit der Immobilie grundsätzlich auch die darauf lastenden Verbindlichkeiten, wie Grundschulden oder Hypotheken, es sei denn, der Erblasser hat etwas anderes angeordnet.

Praktische Tipps für Betroffene

Formulierung im Testament

Die korrekte Formulierung eines Vorausvermächtnisses im Testament ist entscheidend für dessen Wirksamkeit. Hier ein Beispielmuster:

„Ich setze meine Ehefrau [Name] und meine Kinder [Namen] zu gleichen Teilen als Erben meines gesamten Nachlasses ein. Meiner Ehefrau vermache ich als Vorausvermächtnis mein Eigenheim in [Adresse], eingetragen im Grundbuch von [Ort] Blatt [Nummer]. Der Wert des Hauses soll nicht auf ihren Erbteil angerechnet werden.“

Wichtig ist:

  • Die eindeutige Bezeichnung als „Vorausvermächtnis“
  • Die präzise Beschreibung der Immobilie (idealerweise mit Grundbuchdaten)
  • Eine klare Aussage zur Anrechnungsfrage
  • Ggf. Regelungen zu Belastungen, Kosten und Lasten der Immobilie

Potenzielle Fallstricke

Bei der Gestaltung eines Vorausvermächtnisses für Immobilien sollten folgende Fallstricke vermieden werden:

  1. Unklare Formulierungen: Testamente mit unklaren Anordnungen führen oft zu Streitigkeiten. Eine präzise Formulierung ist unerlässlich.
  2. Übersehene Belastungen: Grundschulden, Hypotheken und andere Belastungen sollten berücksichtigt und deren Übernahme oder Ablösung geregelt werden.
  3. Bewertungsprobleme: Die unterschiedliche Bewertung von Immobilien für Zwecke der Erbauseinandersetzung und der Erbschaftsteuer kann zu Konflikten führen.
  4. Ausländisches Vermögen: Bei im Ausland belegenen Immobilien können komplexe kollisions- und steuerrechtliche Fragen entstehen.

Checkliste für die Gestaltung eines Vorausvermächtnisses bei Immobilien

  1. Bestandsaufnahme und Bewertung
    • Immobilien präzise identifizieren (Grundbuchdaten, Lage, Größe)
    • Aktuelle Marktwerte ermitteln
    • Bestehende Belastungen erfassen (Grundschulden, Hypotheken)
    • Nutzungsverhältnisse klären (Eigennutzung, Vermietung)
  2. Begünstigten festlegen
    • Wer soll die Immobilie erhalten?
    • Hat diese Person besondere Bindungen zur Immobilie?
    • Ist die Person als Erbe eingesetzt?
  3. Erbrechtliche Gestaltung
    • Erbquoten festlegen
    • Vorausvermächtnis präzise formulieren
    • Anrechnungsfrage regeln
    • Belastungsverteilung klären
    • Ggf. Auflagen oder Bedingungen festlegen
  4. Steuerliche Optimierung
    • Freibeträge prüfen und ausnutzen
    • Bewertungsabschläge berücksichtigen
    • Zehnjahreszeiträume planen
    • Bei betrieblich genutzten Immobilien: Vergünstigungen für Betriebsvermögen prüfen
  5. Umsetzung absichern
    • Testament notariell beurkunden lassen
    • Nachlassverwalter oder Testamentsvollstrecker einsetzen
    • Finanzierung von Ausgleichszahlungen oder Steuerbelastungen regeln
    • Bei Auslandsimmobilien: Internationale Aspekte klären
  6. Regelmäßige Überprüfung
    • Testament alle 3-5 Jahre überprüfen
    • Bei wesentlichen Änderungen der Vermögensverhältnisse anpassen
    • Bei Gesetzesänderungen aktualisieren

Häufig gestellte Fragen

Was ist der Unterschied zwischen einem Vorausvermächtnis und einer Teilungsanordnung?
Bei einem Vorausvermächtnis erhält der begünstigte Erbe die Immobilie zusätzlich zu seinem Erbteil, während bei einer Teilungsanordnung der Wert der Immobilie auf den Erbteil angerechnet wird.
Ein Vorausvermächtnis kann grundsätzlich keine eigenen Pflichtteilsansprüche „auslösen“, aber es ist im Zusammenhang mit Pflichtteilsansprüchen relevant. Der Wert des Vorausvermächtnisses wird bei der Berechnung des Pflichtteils nicht abgezogen. Ist der Vorausvermächtnisnehmer selbst pflichtteilsberechtigt, kann er je nach Konstellation einen Pflichtteilsrestanspruch geltend machen oder bei Ausschlagung seinen vollen Pflichtteil verlangen. Der Pflichtteilsanspruch bleibt grundsätzlich neben dem Vorausvermächtnis bestehen, wird aber um den Wert des Vorausvermächtnisses gekürzt, sofern dieses angenommen wird.
Ein Vorausvermächtnis kann in einem privatschriftlichen Testament angeordnet werden. Aus Gründen der Rechtssicherheit und zur Vermeidung von Formfehlern empfiehlt sich jedoch eine notarielle Beurkundung.
Ja, ein Vorausvermächtnis kann mit Auflagen oder Bedingungen verbunden werden, z.B. ein Wohnrecht für andere Personen oder die Verpflichtung zur Zahlung einer Ausgleichssumme an die Miterben.
Bei Ausschlagung der Erbschaft entfällt grundsätzlich auch das Vorausvermächtnis, es sei denn, der Erblasser hat ausdrücklich etwas anderes bestimmt (§ 2161 BGB).
Ja, nach § 2077 BGB wird ein Vorausvermächtnis zugunsten des Ehegatten unwirksam, wenn die Ehe geschieden wurde oder die Voraussetzungen für eine Scheidung vorlagen und der Erblasser die Scheidung beantragt oder ihr zugestimmt hatte.
Ein Vorausvermächtnis kann mit einer Vor- und Nacherbschaft kombiniert werden. Der Vorerbe erhält dann die Immobilie als Vorausvermächtnis, muss sie aber beim Eintritt des Nacherbfalls an den Nacherben herausgeben.
Grundsätzlich ja, jedoch sind die besonderen Bestimmungen des internationalen Erbrechts und des jeweiligen Lagestaates zu beachten. Die EU-Erbrechtsverordnung ermöglicht eine einheitliche Nachlassbehandlung, jedoch können steuerrechtliche Besonderheiten bestehen.
Die Dauer hängt von verschiedenen Faktoren ab, insbesondere der Komplexität des Nachlasses, möglichen Streitigkeiten und der Notwendigkeit eines Erbscheinsverfahrens. In unkomplizierten Fällen kann die Übertragung der Immobilie innerhalb von 3-6 Monaten erfolgen, bei Konflikten oder komplexen internationalen Sachverhalten kann es jedoch deutlich länger dauern.
Von Sabine Thomas-Haak

Mit über 20 Jahren Erfahrung stehe ich Ihnen in rechtlichen Angelegenheiten engagiert zur Seite. Ob Erbrecht, Familienrecht oder Immobilienrecht – ich biete Ihnen eine individuelle und lösungsorientierte Beratung.